Faunblut by Nina Blazon

Faunblut by Nina Blazon

Autor:Nina Blazon
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2011-03-06T23:00:00+00:00


Totentanz

Hatte Jade bisher nur die Oberflächen und Fassaden der Stadt wahrgenommen, tauchte sie nun in den Untergrund ein und lernte das Adernetz von Gängen kennen, das sich darunter verbarg, ein verwobenes System an Kammern, Schlupfwinkeln und Fluchtwegen. Sie führten durch Keller mit durchbrochenen Wänden und an Kanälen entlang, durch Wohnungen und hohle Mauern. Nach und nach lernte sie, die Zeichen zu lesen – hier eine Tonscherbe auf einer Fensterbank, die nach Norden deutete, dort ein rotes Band an einem abgebrochenen Stück Holz, das aus einer Wand ragte. Es war gefährlich und erregend wie ein Rausch, mit Tanía im Palastviertel vor einer Patrouille wegzutauchen oder am Rand einer Gasse einen Diener aus einem Adelspalast zu erblicken, der ihr zunickte und wie beiläufig eine Spiegelscherbe in der Hand aufblitzen ließ. Sie kannte nur wenige Namen, und dennoch spürte sie, wie sie ein fester Teil des Netzes wurde, das sich über die ganze Stadt spannte. Nur von den Echos und dem Prinzen fehlte immer noch jede Spur.

»Zwei Echos wurden vor dem Goldenen Tor gesehen!«, berichtete Tanía bei einer Versammlung im Schlachthof. »Und Ben sagt, vier weitere verstecken sich in der Nähe der Schädelstätte. Sie sind da! Sie warten nur darauf, zuschlagen zu können! Schätze, wir müssen uns etwas einfallen lassen, um die Jäger für eine Weile abzulenken.«

Sie lachte bei diesen Worten und ihre Augen funkelten in einer wilden Entschlossenheit. In solchen Augenblicken wusste Jade nicht, ob sie Tanía für ihren Mut bewundern oder ihre Verrücktheit fürchten sollte. Für sie war dieser Krieg tatsächlich ein Strategiespiel, für das sie so sehr brannte wie Jade für ihren Traum von der Ferne.

Öfter als nötig hielt Jade sich in der Nähe des Hafens auf und hielt nach Arifs Fähre Ausschau. Meistens sah sie das Schiff nur aus der Ferne, aber einmal hatte sie Glück und kam in dem Moment, als es gerade abgelegt hatte und flussaufwärts fuhr. Selten war Jade so nervös gewesen wie in dem Augenblick, als sie Martyn entdeckte. Er stand am Heck und sortierte Seile. Auf ihren Pfiff hin zuckte er zusammen und sah zu ihr herüber. Seine Miene hatte nichts von einem Sonnenlächeln, eher von einem Gewitter mit tödlichen Blitzen. Jade winkte ihm zu und bedeutete ihm mit den Zeichen, die sie seit der Kindheit verwendeten, dass sie mit ihm reden musste. Aber Martyn kniff nur die Lippen zusammen, wandte sich ab und verschwand in Richtung Bug aus ihrem Blickfeld. Jade blieb mit zu Fäusten geballten Händen und einem Kloß in der Kehle zurück. Und obgleich seine Reaktion sie mehr verletzte als jeder Streit, den sie miteinander ausgemachten hatten, musste sie zugeben, dass sie an seiner Stelle ganz genauso reagiert hätte.

Den Echos begegnete Jade nicht, obwohl sie jeden Kanal und jedes unbewachte Gebäude absuchte, aber einige Tage nach der Versammlung fand sie zumindest Ben wieder. Er hockte in der Nähe des Palasts, direkt neben dem Seitentor der gläsernen Kirche. Durch das graue Rauchglas strahlte das Licht des heiligen Styx, das im Inneren auf dem Altar brannte. Von außen gesehen, schien es direkt über Bens Kopf zu schweben wie ein Heiligenschein.



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